Lyrik

räuchertofu ist überbewertet
bei nah und gut in lunow
gibt es welchen

ich kaufe ihn nicht – das
ist nicht verzicht üben
verzicht war im trend

ist jetzt langsam wieder out
flugscham das wort des sommers
in schweden – radtouren in brandenburg

über gefährliche landstraßen und
an korn-mohnblumenfeldern entlang 
der oder-neiße radweg

und das tal der liebe dolina miłości
auf der polnischen seite – wann
werde ich es dorthin schaffen?

oder zum haff nach ückermünde
nach usedom und wollin – alle
unterkünfte ausgebucht im juli

es bleibt das zelt
es bleibt viel
es bleibt - das leben

Tal der Liebe

endlich – ich schaffe es
die Brücke zu überqueren
über den Grenzfluss

zwischen 2 Ländern mit dem Fahrrad fahren
das Tal, das die Liebe schuf
die Legende von Berta und Fritz
die Geschichte von Anna und Carl
die Zerstörung im Krieg
Verwilderung über Jahre
bis Adam und Ewa wiederkamen
und die Wege der Liebe wieder

begehbar gemacht wurden
jetzt sitzen wir hier im Wald
und am Fluss – Polen, Franzosen
und Deutsche – trinken Tee, Kaffee und Bier
essen Frühstück aus Bäumen

reden über die Geschichte
die Gegenwart die Zukunft
und darüber, was gut ist auf
dieser und jener Seite des Flusses

ein kranich fliegt von
deutschland nach polen
der braucht keine brücken

den großvater ließen sie
damals nicht mehr durch
die zone in seine heimat

ich suche einen weg nach drüben
finde die brücke zum polenmarkt
keine pierogi – lauter schnitzel

auf dem rückweg esse ich zander
in zollbrücke meine knie schmerzen
vom brücken suchen – zugvögel ziehen

Oder-Neisse-Radweg 2017

Cimetière Montparnasse, Grab von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sarte Foto: Silke Galla

J’ai vu des archipels sidéraux ! et des îles
Dont les cieux délirants sont ouverts au vogueur :
— Est-ce en ces nuits sans fonds que tu dors et t’exiles,
Million d’oiseaux d’or, ô future Vigueur ? —
Arthur Rimbaud, Le Bateau ivre

ein schiff

ein trunkenes boot? ein fluss?
vom anderen stern –
ein gast auf dieser erde

auf dem mont st. victoire und
in cezannes atelier geschaut
im garten von giverny spaziert

das grab von jim morrison
geklaute grabsteine –
edith piaf sang um ihr leben

auf dem montmarte – nein,
da war ich noch nicht
der spirit von de beauvoir und sarte

wo? wohin spült mich der
fluss des lebens? wen fragen –
wenn nicht mich selbst

antworten finden bei tonio kröger,
nietzsche, deleuze/guattari?
oder nur neue fragen?

ein schiff. ein boot. wohin?
navigieren nach sternen und meeresströmung
wie die polynesier vor unserer zeit

a fountain

walking towards
thinking _ not thinking
a mountain
which hills to climb today?
breaking routines _
the taste of seetangsalat
taking a bath
the young women
sending e-mails to my mother
horses and old people
taking a bath in berlin _
underwater sounds
bridges and mountains
I could tell you about the
clouds and the stars
I could tell you about
garden piqueniques and rush hours
in the tube
I could tell you …

written in the Gemäldegalerie Berlin, during the rehearsals for the performance project „Am Wasser I + II“

nature is taking over _
again
is nature taking over?
what are we _ but tiny dots
in the universe amongst the stars

why are we thinking we have the
power?
have we?
are men holding the power?
are women holding the hidden power?
what is there between men and women_
aren’t we all just human _ beings_
cells of one body?
who are you – a brain cell or a heart cell
a piece of the toe?
walking towards _ combining parts of your
body that never met each other
talking to each other

what is the in_between?

can you imagine yourself in
the opposite sexual position taking
your partner’s perspective?

what is it you cannot speak about
that you do not dare to voice
or you do not have the words
to express it?

© Silke Galla